Liebfrauengemeinde/Ratibor in Christus König/Essen...

                                                                                                … mehr als ein Rückbesuch

 

Nachdem im Herbst des vergangenen Jahres eine 23-köpfige Reisegruppe aus Christus König (darunter aber auch Mitglieder aus St. Markus und unserer evangelischen Nachbargemeinde) zu Besuch in Ratibor/Polen weilte, hatten sich für den 14.-18. September dieses Jahres 43 Gäste aus der Liebfrauengemeinde in Ratibor zum Rückbesuch in Christus König angesagt.

 

In aller Kürze sei das Programm des fünftägigen Besuches in Erinnerung gerufen:

 

Freitag, 14. 09.    08.30  Ankunft, Bezug der Unterkünfte

                            15.00  Stadtrundfahrt

                            18.00  Eucharistiefeier in Christus König

                            19.00  Begegnung beider Gemeinden

 

Samstag, 15. 09.  09.30  Essener Dom, Schatzkammer, Rathaus

                             13.00  Empfang in Maria Königin

                             15.00  Villa Hügel und Baldeneysee

                             18.30  Eucharistiefeier in Christus König                            

                             19.30  Empfang durch die Reisegruppe 2011

 

Sonntag, 16.09.    09.00  Wanderung zum Mutterhaus der Elisabethanerinnen/Schuir

                             11.15  Festgottesdienst in Christus König

                             15.00  Werden: Luciuskirche, evangelische Kirche, Basilika

                             18.00  Großes Gemeindefest der Liebfrauen- und Christus König-Gemeinde

 

Montag, 17. 09.   08.00  Tagesfahrt beider Gemeinden zum Kölner und Aachener Dom

                             20.00  Abschiedsabend

 

Dienstag, 18.09.   08.00 Gemeinsame Pilgerfahrt nach Kevelaer

                             16.30  Abfahrt der Gäste nach Ratibor

 

Und wie fing alles an?

 

„Wie soll ich das nur schaffen, nach ursprünglich 13 Anmeldungen aus Ratibor jetzt Unterkünfte für vielleicht 50 Reisewillige zu finden?“, fragte konsterniert in einer Gemeinderatssitzung im März Lothar Hüsken, der sich für die Aufgabe stark gemacht hatte, die Gäste in Familien privat unterzubringen. Antwort geben konnte ihm nach der überraschenden nachmittäglichen Anfrage aber niemand; er verspürte nur die Hoffnung und den Erwartungsdruck aller Anwesenden auf sich lasten. – In den folgenden Wochen war er selten zu sprechen, lief entweder durch Haarzopf oder hing besetzt am Telefon. Nach knapp einem Monat jedoch signalisierte er Pastor Niekämper auf dessen besorgte Nachfrage: „Lehnen Sie sich zurück! Ich könnte sogar 60 Personen bei Mitgliedern aus Christus- König, bei evangelischen Mitchristen und hilfsbereiten Bürgern aus Haarzopf und näherer Umgebung unterbringen.“

Großes Aufatmen in der nächsten Sitzung des Gemeinderates. Schulterklopfen: „Lothar hat es geschafft, wussten wir.“

Inzwischen war aber auch rührig geworden der „Finanzausschuss“. Dr. Ilse Krisam, Ute Unterschemmann und Christian Ritzka schrieben Bettelbriefe, baten Institutionen um finanzielle Hilfe und, wie andere Helferinnen und Helfer auch, hielten nach Gottesdiensten ein Körbchen entgegen, daraus eine Aufschrift lugte: „Spende für Ratibor – Danke!“ – Schon vor den Sommerferien strahlte Christian Ritzka: „Wir sammeln zwar noch, sind aber schon auf der Zielgeraden und haben allen Grund, der Gemeinde für ihre großzügige Unterstützung zu danken.“

Zufriedene Gesichter im Vorbereitungsteam: „Mit den beim Förderverein eingegangenen Spenden können wir Programm und Beköstigung nun stemmen und finanzieren.“

Über das Programm selbst wurde weniger in den Gruppen diskutiert; vielmehr ergossen sich Fluten von Emails ins Netz und zügig flossen die wichtigsten Informationen in die 14-tägigen Nachrichten aus Christus König, so dass die Gemeinde stets unterrichtet war und viele Menschen, mehr als erwartet, ihre Hilfe anboten. Die trefflichste Rückmeldung zum Programmentwurf schickte Pfarrer Kurowski per Mail aus Ratibor: „Wir danken, dass wir jeden Tag mit Ihnen Gottesdienst feiern dürfen. Auch von dem restlichen Programm sind wir begeistert. Wir tun alles, was Sie vorschlagen.“   So einfach können Abstimmung und Verständigung laufen.

Erfreulicherweise war das Wetter vor dem Besuchszeitraum mäßig; die Sonne schien Gott sei Dank selten, so dass das KBT (Küchen-Beköstigungs-Team) zwar auf Hochtouren, aber nicht zu sehr ans Schwitzen kam. An gleich mehreren Tagen für Mittags- und Abendmahlzeiten zu planen, einzukaufen und zu kochen, war eine Höchstleistung, die aber erbracht wurde, da Claudia Jallonardo-Jantz, U. Unterschemmann und Christina sowie Bernhard Kosmala aus   Gemeindegruppen und dem Elternkreis des Kindergartens eine großartige und aufeinander abgestimmte Helfergruppe rekrutiert hatten. Auf die besorgte Frage, ob denn die Logistik auch bei noch ungeklärter Teilnehmerzahl durchgängig gesichert sei, winkten die drei Damen selbstbewusst ab: „Kein Problem! Bei uns werden alle satt.“ – (Manche Gäste klagten später über Hüftgold.)

In Kenntnis der gezielten Vorbereitungen äußerte Pastor Michael Niekämper zehn Tage vor Eintreffen der Gäste im Sonntagsgottesdienst: „Ich freue mich auf unseren Besuch aus Ratibor. Und wir alle dürfen dem Ereignis mit Ruhe und Gelassenheit entgegensehen.“

 

War das nicht zu optimistisch geurteilt?

 

Am 13.09. jedenfalls breitet sich Unruhe in Christus König aus. – I. Krisam erhält abends zuvor einen Telefonanruf, dass die Ratiborer anderntags erst gegen Mittag einträfen. – L. Hüsken fragt: “Mit wie vielen kommen sie denn nun endgültig?“ Man rechnet mit 43, er aber mit einigen mehr. (Und es kamen ihrer 46.) – Die Gastgeber müssen aber noch verständigt werden, dass sie ihren Besuch erst nach Hinweis per Telefon abholen. – Von Frau Dr. Sput erbitten wir deshalb per SMS, sich eine Stunde vor Ankunft per Handy aus dem Bus zu melden. – Das Küchenteam funkt dazwischen: „Für gemeinsames Frühstück oder Mittagessen brauchen wir zwei Stunden Vorlauf.“ – Der erste Programmpunkt wird vorsichtshalber auf einen unbestimmten Zeitpunkt verlegt. Die hohe Kunst des Improvisierens ist jetzt gefragt. – Nur einer bewahrt die Ruhe. Das ist Pastor Niekämper, denn der weilt den ganzen Donnerstag im Pfarrbüro in Werden zu Gesprächen über pastorale Fragen.

 

Wie ging es dann weiter?

 

Um es kurz zu machen: Wir verbrachten gemeinsam mit unseren Ratiborer Freunden fünf wunderbare Tage. Niemand erkrankte oder verletzte sich. Alles lief, nichts ging schief. Die Abfolge des Programms klappte, obwohl der erste Punkt – Kirchenführung Christus König – nachgezogen werden musste. Und wir hatten während der gesamten Begegnung ein Wetter, wie es bisher nur Maria Königin für das jährliche Gemeindefest hat pachten können.

 

Was bleibt uns in Erinnerung?

 

Sicherlich werden alle Beteiligten zunächst gern an sehr persönliche Erlebnisse, ihnen wichtige Ereignisse und individuelle Eindrücke zurückdenken, aber auch darüber hinaus haben wir Einsichten gewonnen und Erfahrungen neu gemacht oder wieder entdeckt.

Wenn eine Gemeinde – wie jetzt Christus König – ein außergewöhnliches und zugleich anspruchsvolles Projekt wagt (und ein fünftägiger Besuch einer großen Reisegruppe, von der zwei Drittel kein Deutsch sprachen, ist für eine kleinere Gemeinde eine Großveranstaltung), dann entwickeln Zielstrebigkeit, Kooperationsfähigkeit und Hilfsbereitschaft eine Dynamik, die zukünftig abgerufen und genutzt werden sollte. Das Interesse und Engagement der ganzen Gemeinde waren überwältigend und haben uns am nachhaltigsten überrascht. Nehmen wir z. B. die bei unserer Begegnung größte Gruppe, die der Gastgeber, in den Blick, so beobachteten wir, dass diese nicht nur Übernachtung und Frühstück anboten, sondern die Gäste auf- und annahmen, sie umsorgten und ihnen ein Zuhause bereiteten, das, wie Pfarrer Kurowski betonte, „noch schöner als das in Ratibor war, da man in Haarzopf nicht arbeiten musste, sondern sich verwöhnen lassen durfte.“ Somit war die wichtigste Voraussetzung für eine Begegnung unter Freunden gegeben.

Ein kulturelles und geselliges Programm ist wichtig als die Plattform, die den Menschen Freiräume für Austausch und Kommunikation bietet. Das gemeinsame Miteinander wird dann wichtiger als das inhaltliche Angebot. Nur so konnten wir Sprachbarrieren und Schwierigkeiten der Verständigung überwinden. Denn ein Lachen oder ein freundliches Nicken bewirken manchmal mehr als Worte.

Unsere polnischen Gäste haben ein anders akzentuiertes Glaubensverständnis und praktizieren ihren Glauben in einer Weise, von der wir lernen oder uns zumindest anregen lassen können. So kam bei der Führung durch den Essener Dom die nur von Ratiborern gebildete Polnisch sprechende Gruppe gehörig in Zeitverzug, weil alle Männer und Frauen vor der Goldenen Madonna erst auf die Knie fielen, sangen und beteten, ehe der Führer seinen Part weiterspielen konnte. Diese Frömmigkeit erstaunte uns, sie war auch ungewöhnlich, ist aber letztlich nachvollziehbar und einsichtig: Denn der Glaubende bestaunt nicht nur ein Kunstwerk, sondern in der Anschauung verehrt er den Lebensvollzug eines im Glauben verwurzelten Menschen wie hier Maria.

Im Nachhinein überrascht auch nicht mehr, dass unsere Gäste jeden Tag eine gemeinsame Eucharistiefeier gewünscht hatten und bei Kirchenbesuchen stets eine kurze Andacht oder ein gemeinsames Gebet für eine Selbstverständlichkeit erachteten. Wir erfuhren und erlebten, dass für die Ratiborer Gottesdienste keine verpflichtenden Rituale gewesen sind, sondern Momente und Räume im Tagesgeschehen, die den Menschen zur Ruhe und Besinnung kommen lassen und seinem Tag eine Mitte und Perspektive geben. Dass die Menschen innerlich dabei sind und mitgehen, machte allzu deutlich ihr Gesang, der, in polnischer Sprache für uns zwar nicht verständlich, dennoch Anteilnahme und Bewegtheit spüren ließ.

Die oftmals zitierte tiefe Emotionalität der polnischen Seele haben wir selbst häufig kennen und schätzen gelernt – in Ratibor in der unübertroffenen Gastfreundschaft, die uns Deutschen manchmal übertrieben anmutet (und bei der Beköstigung zuweilen zu schaffen macht), die aber von Herzen kommt und die Wertschätzung des Gastes widerspiegelt. Als Gäste erweisen die Menschen aus Polen ihren Gastgebern aufrichtige Dankbarkeit, die ebenso emotional gefärbt ist, aber durch ihre Natürlichkeit, Wärme und Gradlinigkeit überzeugt. So dankte eine fast 80-jährige Dame, die am Stock ging und der vieles nicht mehr leichtfiel, beim Abschied in Kevelaer: „Ich bin ja so dankbar für alles, was ich bei und mit Ihnen erleben durfte. Nun wäre es schön, Sie in naher Zukunft bei uns in Ratibor zu Gast zu haben. Aber zu gern würde ich auch noch einmal nach Essen kommen.“

Ein solches Wort braucht man nicht mehr zu kommentieren.

 

Was bringt uns die Zukunft?

 

Diese im Deutschen sehr geläufige Formulierung bedeutet, dass die Frage in Bezug auf unsere Partnerschaft mit der Liebfrauengemeinde falsch gestellt ist.

Wir haben durch die beiden bisherigen Begegnungen – vor einem Jahr in Ratibor und dieses Jahr in Essen – sehr gute Voraussetzungen für weitere intensive Kontakte geschaffen. Aber damit ist nur ein Anfang gemacht.

Ich erhoffe mir für unsere Gemeinde, dass Wissbegier und Wille wachsen, die Liebfrauengemeinde in Ratibor und damit auch das Land Polen, dessen Bewohner und deren Kultur und Geschichte näher und noch viel besser kennenzulernen.

Die Zukunft bringt uns das, was wir aus ihr machen.

 

Bernd Grotegut